Neues vom legendären Erbach-Taxi
Viele Brezelfenster-Leser können sich bestimmt erinnern:
Vor über 12 Jahren, im BF 3/2002, erschien in der Rubrik Fahrzeug - und Teilemarkt eine Verkaufsannonce: Otto Weymann aus Fuldatal, 1975 Ausrichter des allerersten Uraltkäfer-Treffens, bot sein Käfer-Taxi von 1949 zum Verkauf an.
Wie es dazu kam, dass das gute Stück nach Hamburg kam, beschrieb Hanss Lange bereits ausführlich im BF 1/2003. Im Heft 3/2003 hingegen berichtete Otto Weymann von seinen Erfahrungen mit diesem Wagen, von der Anschaffung 1973, bis zum Verkauf 2002. An dieser Stelle folgt nun ein Auszug aus seinem Artikel:
Es war ein Regentag im April 1973, als ich in der Guten Fahrt eine Anzeige las: Käfer Bj.1949 zu Verkaufen. Adresse ohne Tel. war angegeben (Ladenburg bei Heidelberg) also schrieb ich eine Postkarte und bekundete mein Interesse.
Ich war damals 36 Jahre alt Die Antwortpostkarte kam, diesmal mit Tel. Der Absender war eine ältere Frau. was ich unschwer an der handgeschriebenen Karte erkennen konnte! Ein Besichtigungstermin war schnell vereinbart, und ich fuhr wenige Tage später nach Ladenburg. Als ich auf den Hof der alten Dame (sie war Jahrgang 1913) fuhr und ausstieg, kam sie aus dem Haus, sah mich und sagte: Es waren schon 44 Leute da, die den Wagen kaufen wollten, aber Sie bekommen den Wagen! Ich war natürlich einigermaßen verblüfft und erfuhr aber gleich den Grund für die sofortige Sympathie: Ich erinnere sie sehr an ihren vor einem Jahr verstorbenen Mann und ich rauche auch noch Zigarren, wie er es immer getan hätte! Im Handschuhfach lägen noch 2 Zigarren, die ich doch bitte aus Pietät darin liegen lassen möge, sagte sie. Dann erzählte sie mir, dass ihr Mann Taxifahrer gewesen sei, letztes Jahr gestorben sei, und dass er in 1952 mit seinem 3 Jahre alten VW-Taxi beim 100.000-er Treffen der Guten Fahrt in Erbach im Odenwald (bei ihm um die Ecke) von 1.200 Teilnehmern den ersten Preis gewonnen hätte: ein fabrikneues VW-Kabriolett (Bj.1952) das hätte er verkauft und davon seine erste neue Mercedestaxe angezahlt. Das Käfertaxi habe aber noch als Zweittaxi in seinem Taxibetrieb bis 1961 gelaufen und dann habe er beschlossen, den Käfer als Privatwagen weiter zu fahren und niemals zu verkaufen. Auf ihrem Boden lägen noch die Original Taxi-Uhr, der Dachgepäckträger sowie ein Gummiknüppel, mit dem er Ende der 40-er Jahre in Heidelberg betrunkene GI´s zur Raison gebracht hätte! Diese Utensilien habe ich natürlich sofort einkassiert, sowie auch das Gute Fahrt Heft von 1952, in dem über seinen Gewinn berichtet wurde. Auch ein Foto von Johann Kaiser ist in diesem Gute-Fahrt-Heft, und da kann man tatsächlich sehen, dass Johann K. (zu meinem Glück) meine Figur hatte: über 1,80m groß und über 100 kg schwer! Der Wagen hatte noch 1 Jahr TÜV und wir machten einen Vertrag, in dem ich mich verpflichtete, das Auto nicht zu verkaufen, solange sie noch lebte und die 2 Zigarren im Handschuhfach zu belassen. Kaufpreis 650,-DM. Ich nahm den KFZ-Brief mit und ließ den Wagen im Landkreis Kassel zu. 14 Tage später fuhr ich mit den Nummernschildern KS-PT 2 und dem Zug erneut nach Ladenburg und anschließend auf eigener Achse nach Kassel zurück. Ich fuhr dann noch weitere 12 Jahre den Käfer zu diversen Treffen und auch im Alltagsbetrieb, ohne dass er mich je mit einer Panne im Stich gelassen hätte! 1985 fuhr ich ihn als Leihgabe mit eigener Kraft ins Museum Dieselstrasse.
Spassi causa stellte ich die Taxi-Uhr an: Fuldatal-Wolfsburg: 19,80 DM. Den Rest der Geschichte kennt Ihr aus dem Brezelfenster 1/2003.
Fuldatal, den 14.August 2003
Soweit der Artikel von Otto Weymann. Nachdem ich den Wagen mit wenig Aufwand fahrbereit gemacht hatte – ich musste einen Außenspiegel und hintere Blinker anbringen, den Benzintank samt Reservehahn und Benzinpumpe austauschen, den Vergaser zerlegen und reinigen sowie die Reifen und Schläuche erneuern, und dazu kamen noch Schweißarbeiten an der Motorklappe und den Kotflügeln - hat uns der Käfer in den letzten 12 Jahren zu schönen Ausfahrten und Treffen begleitet. Doch dazu später mehr.
Vor zwei Jahren kam es zu einer zufälligen Begegnung zwischen Otto Weymann und einer Dame namens I. S., wohnhaft in der Nähe von Wuppertal. Es stellte sich heraus, dass Frau S. eine geborene K. ist, und der Taxifahrer und Erstbesitzer unserer Taxe, Johann K., ihr Vater war. Da Otto Weymann eine Verbindung zwischen Frau S. und mir ermöglichte, kann ich nun eine weitere große Lücke in der Historie des Brezels schließen.
„Mein Vater würde am 2. 4. 2012 100 Jahre alt. Es ist ein wunderschönes Geschenk, dass wir auf diese Art und Weise an ihn denken. Er hat es verdient. Er war ein grundanständiger Mensch, der in die Mühlen der Zeit geraten ist, dafür teuer mit jahrelanger Gefangenschaft mit Hunger in Russland und Frankreich bezahlt hat. Er hat mich erstmals gesehen als ich 4 Jahre alt war! An seine Heimkehr aus der Gefangenschaft kann ich mich genau erinnern. Ich saß auf dem Topf, meine Mutter hatte den Kopf voller Lockenwickler, hatte einen Kuchen im Backofen und wartete auf ihren Mann. Er kam etwas früher als gedacht.
Anbei übersende ich die Bilder vom „Ereignis“, dann ein Foto vom VW-Rometsch mit 4 Türen, der auch Taxi gefahren ist. Dann gibt es das Bild mit den 3 Herren, die das Benzinröhrchen auf dem Buckel des VW anschauen.
Die ganz privaten Fotos zeigen meine Eltern und mich im Urlaub. Unglaublich, bereits ab 1950 sind wir jährlich verreist, vorwiegend in den Schwarzwald nach Mutterlehen bei St. Blasien, wo mein Vater her stammte. Das Schwarzwaldhaus steht noch, wurde sogar einmal vom Bundespräsidenten Carstens bei seinen Wanderungen als Bleibe ausgewählt. Das „Gasthaus zum Hirschen“ ist ein Jahrhunderte alter Gasthof, heute ein modernes Hotel (Internet!). Wir sind aber auch Richtung Österreich und Bayern gefahren, sozusagen auf die Spuren meines Vaters politischer Vergangenheit.
Die Unterlagen dazu hatte ich gerade bei der Suche nach den Bildern in der Hand, es hat mich tief berührt, endlich die ganze Story, die vom Entnazifizierungsamt aufgerollt wurde, zu lesen. Fazit: er war ein unpolitischer Mensch, der durch die Wirren der Zeit zur Wehrmacht kam als Fahrer und von dort zu verschiedenen Posten geschickt wurde.“
I. S.-K.
Der Taxifahrer, geboren am 2. April 1912, verkaufte das Cabriolet nach der Veranstaltung, um sich von dem Erlös ein Mercedes-Taxi anzuschaffen; außerdem besaß er in seinem Betrieb von 1953 bis 1958 noch einen viertürigen Käfer der Firma ROMETSCH. Aus Dankbarkeit behielt er aber seinen VW Standard, mit dem er gewonnen hatte, bis zu seinem Lebensende am 21. Februar 1973.
Danach übernahm ihn Otto Weymann, der ihn auf eigener Achse 1985 nach Wolfsburg überführte, und als Leihgabe zur Verfügung stellte. Die Verkaufsannonce aus der „Guten Fahrt“ stellte uns Wolfgang Gips zur Verfügung, der das Originalheft noch heute besitzt. Der Wagen hat eine Gesamtlaufleistung von über 531000 km und verschliss in seinem langen Käferleben 2 Motoren, 10 Sätze Reifen, 2 Sätze Stoßdämpfer und verbrauchte etwa 42500 Liter Benzin.
Otto fuhr mit dem Wagen auch 1977 nach Wolfsburg; er stand 1975 und 1978 auf den Treffen in Fuldatal und er fuhr 1979 nach Bad Camberg zum 1. Treffen von Heinz Willi Lottermann.
Die Originalplaketten auf der Motorklappe können diese Treffen bezeugen.
Weiterhin stand der Wagen 1983 auf dem BFV-Frühjahrstreffen in Bad Camberg; das Foto wurde uns von Michael Kruck zur Verfügung gestellt – Michael war damals 13 Jahre alt.
In den folgenden 17 Jahren in Wolfsburg erlangte der Wagen eine gewisse Bekanntheit in der Szene, denn er stand nicht nur in der Stiftung Automuseum, sondern wird auch u. a. im Buch „VW Käfer – ein Auto schreibt Geschichte“ von Dr. Ulrich v. Pidoll unter der Rubrik „Die ältesten Käfer“ in Bild, Text und Tabelle erwähnt.
Außerdem erschienen u. a. ein Beitrag im Aprilheft 1986 der „Markt“,
Nov. 1986 im Magazin für Taxifahrer „Hallo! TAXI“,
und im Laufe der vergangenen Jahre wurde dieser Brezel im Modell relativ detailgenau von diversen Modellherstellern produziert, u. a. im Maßstab 1:43 von RIO und Schuco.
Wir fuhren mit dem Auto inzwischen u. a. zu BFV-Treffen 2003 nach Sottrum und 2008 nach Hückeswagen (ausgestattet mit der Startnummer 01, wie schon 1952) zum Gedenktreffen zu den 100.000-km-Treffen 1952 in Erbach und 1954 in Stuttgart.
Das Auto ist jederzeit fahrbereit und soll so, wie es ist, unrestauriert und patiniert bleiben.
Jürgen Grendel