Einmal Watzmann und zurück
Mit zwei Uralt-Käfern durch Deutschlands Süden
Von Roland Seiter
Mit einem Brezel- und einem Ovalkäfer im Spätsommer die junge Donau und die deutschen Alpen erforschen, das klingt nicht nur nach Abenteuer, das war auch eins: Vornehmlich über schmale Seitensträßchen ließen Klaus Röll und Roland Seiter ihre beiden Uralt-Käfer rollen – in acht Tagen 1600 Kilometer durch den Süden Deutschlands.
In Baden-Baden startet die Fahrt bei strahlendem Sonnenschein. Die Volkswagen, ein 1952er Brezelfenster und ein 1955er Ovali, sind bepackt, gewartet, vollgetankt und richtig guter Dinge. Mit offenem Faltverdeck erklimmen die betagten Wolfsburger auf der kurvenreichen Schwarzwaldhochstraße erste Gebirgshöhen. Sonnige Wälder links und rechts.
Höchstgeschwindigkeit 80 Sachen. Nur selten geht es schneller voran. Roland und Klaus wollen schließlich reisen, die Landschaft bewusst erleben, den feinen Duft von frisch gemähtem Gras und in der Sonne getrocknetem Heu zwischen den Nasenflügeln haben – und hinten den vertrauten Klang der zuverlässigen Vierzylinderboxer hören. Herz, was willst du mehr?
Auf dem Weg über die schwäbische Alb ist Engstingen erstes Ziel. Dort bietet das empfehlenswerte „Automuseum Engstingen“ eine wahre Zeitreise auf 1200 Quadratmetern - liebevoll gemacht mit manch seltenen Fahrzeugen und Motorrädern.
Die Käfer folgen den Windungen des oberen Donautals. Entlang malerischer Sträßchen geht es bei Sonnenschein nach Ulm. Im Schatten des Ulmer Münsters, mit seinem 161,53 Meter messenden höchste Kirchturm der Welt, schmeckt das erfrischende Eis besonders gut. Die 768 Stufen zur oberen Aussichtsplattform sparen sich die beiden „Käferianer“ angesichts der hochsommerlichen Temperaturen.
Ein Tröpfchen lassen …
Die Volkswagen bleiben der blauen Donau treu. Idyllische, mittelalterliche Städtchen säumen den Weg. In Dillingen und Neuburg parken die Käfer vor der Stadtmauer. Die ausgedehnten, faszinierenden Altstädte sind einen Rundgang wert. Kühle Getränke und schattige Plätze in Straßencafés laden zum „Ausspannen“ ein.
Am nächsten Tag steht in Ingolstadt mit dem „Audi Museum Mobile“ ein erster Höhepunkt an. Große Ehre: Mit offizieller Genehmigung der Audi Kommunikation dürfen beide Käfer direkt am Haupteingang nahe der Kassen parken. Das macht allerdings das Unterlegen von Pappe unter den Motoren nötig, schließlich lassen auch gut erzogene Volkswagen-Veteranen mal ein Tröpfchen.
Beeindruckt von der großen Auswahl der Fahrzeuge lassen sich Roland und Klaus Zeit. Ein Genuss: Beide staunen, fotografieren und sind beeindruckt von der teils außergewöhnlichen Technik. Da ist der aus der Jugendzeit vertraute DKW 3=6 ebenso zu sehen, wie zahlreiche andere Modelle von Wanderer, Horch und Audi. In den Auto Union Stromlinien-Rennwagen „V16 Typ C“ und „V 16 Bergrennwagen“ möchte man am liebsten einsteigen und auf der Avus oder der Schauinsland-Bergrennstrecke schnelle Runden drehen. Der Sound muss wahnsinnig sein … 16 Zylinder blasen ihre Musik laut und kraftstrotzend hinaus.
Habe die Ehre!
Die beiden reiselustigen Volkswagen mit ihren 24 und 30 PS-Motoren tun dies auf ihre Weise auch, zumindest sehen das die beiden Käferfahrer so. Entlang der Willy-Messerschmitt-Halle in Manching, führt der Weg nach Landshut. Klaus braucht seine tägliche Tasse Kaffee, und die schmeckt in der Altstadt nahe der Isar besonders gut.
Chiemsee heißt das Übernachtungsziel. In einem Landgasthof finden sich Zimmer und ein gutes, reichhaltiges bayrisches Essen. Hmm, der Braten mit Knödeln bleibt samt den herzhaften Einheimischen am benachbarten Stammtisch in Erinnerung - habe die Ehre! Über Nacht regnet es.
Wolkenverhangen führt der Weg entlang der Chiemsee-Gestade über Traunstein nach Berchtesgaden. Übernachtet wird in der 500 Jahre alten Pfnür-Alm, wo sonst! Ein daneben liegender uralter Feldkasten, einst gebaut um Heu als Winterfutter für das Vieh zu lagern, dient jetzt für bis zu fünf Touristen samt Strom und Betten als stilvolle Unterkunft. Toiletten, Waschgelegenheiten und Duschen sind in der zehn Meter nahen Alm. Ein Paradies für Menschen, die es auch mal einfacher lieben.
Der Ovali auf dem Seeboden
Die Bootsfahrt auf dem Königsee ist ein weiterer Reisehöhepunkte, durchwachsenes Wetter und damit wenig los. Die Käfer bleiben an Land und müssen warten. Das ist auch besser so, denn auf dem Grund des kalten und recht tiefen Sees liegt bereits ein Oval-Käfer, der im Winter im Eis einbrach. Und das kam so: Der See wird in besonders kalten Wintern für Fußgänger und Autos freigegeben. Das war auch im Januar 1964 so. Ein Käferfahrer fuhr nachts nach St. Bartholomä, wo seine Freundin als Bedienung im Gasthof arbeitete. Auf dem Rückweg passiert das Unglück in tiefer Nacht. Der VW mit dem Kennzeichen BGD-DS 55 versinkt samt Fahrer am Fuße des Watzmanns. Der See ist dort rund 120 Meter tief. Noch heute liegt der Käfer auf dem Grund des kältesten Sees Deutschlands.
Der Fahrer versuchte noch auszusteigen, überlebte das Vorhaben aber angesichts der extremen Kälte nicht. Sein Leichnam liegt noch heute neben dem Käfer auf dem Grund des Königsees. Auf Wunsch der Angehörigen werden Leichnam nebst Käfer nicht geborgen. Detaillierte Käfer-Bilder (nicht des unglücklichen Fahrers) liefert ein Youtube-Video, das von einem Zweimann-Forschungs-Uboot aus gefilmt wurde (ab Minute 1:45)
Weitere Fakten, so auch den Original-Polizeibericht von damals, bietet die Berchtesgadener Internetseite (Winterschatz im Königsee - siehe Kasten am Textende).
Obersalzberg und Roßfeldhöhenstraße
Sonnenschein am zweiten Berchtesgaden-Tag. Die Käfer fahren hoch hinaus zum Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg. Dort ist die bedrückende und sehr nachdenklich machende Ausstellung über die Geschichte des Obersalzbergs und die NS-Diktatur. Der Obersalzberg war seit 1923 Hitlers Feriendomizil. Nach der Machtübernahme eigneten sich Hitler und weitere Nazigrößen Teile des Obersalzbergs an. Nach der Vertreibung der Einheimischen wurde aus dem einstigen Erholungsort das „Führersperrgebiet“.
Die heutige Ausstellung zeigt über 950 Fotos, Dokumente, Plakate, Film- und Tonaufnahmen. Nicht nur zum Obersalzberg, sondern auch zu Themen wie Führermythos und -kult, Terror- und Vernichtungsapparat, Rassenpolitik und Judenverfolgung, Widerstand und Emigration sowie Zweiter Weltkrieg. Zudem besteht die Möglichkeit zur Begehung der ausgedehnten unterirdischen Bunkeranlagen.
Dreieinhalb Stunden lassen sich Klaus und Roland Zeit, um die informativ gestaltete Ausstellung in Ruhe zu besuchen. Danach geht es, immer noch mit den Gedanken am eben Erlebten, die Roßfeld-Höhenstraße hoch. Hoch ist das richtige Wort. Denn da geht‘s richtig „auffi“, wie die Bayern sagen. Gut Anlauf nehmen, zweiter Gang Vollgas und wie einst Rudolf Caracciola um die Haarnadelkurven. Die Käfer schaffen das, wenn auch mit Ach und Krach. Zur Not wäre es eben im Ersten hochgegangen.
Die Roßfeld-Panorama-Ringstraße ist 16 Kilometer lang. 1938 begonnen, wird sie kriegsbedingt erst 1955 fertiggestellt. Die maximale Steigung beträgt von Berchtes-gaden aus bis zu 26 Prozent (zwei Ausrufezeichen !!). Und mit maximal 1570 Metern Höhe ist sie die höchste durchgehende Straße Deutschlands. Landschaftlich ist die Strecke Genuss und Herausforderung zugleich. Nicht nur berghoch ist es steil, bergab natürlich auch! Das heißt beim „Obifoarn“ zweiten Gang einlegen und immer wieder nachbremsen.
Interessant: Zum Teil verläuft die Roßfeldstraße über österreichisches Territorium. Unbedingt anhalten, denn weit geht der Blick über das tief unten liegende Salzachtal zu den Bergen des Salzkammerguts. Weit im Südosten grüßt das 3000 Meter hohe Dachsteingebirge, im Norden das nahe Salzburg. Einmalig! Roland und Klaus rasten auf einer Hochweide und genießen diesen den Ausblick. Im Ovali liegt ein 60 Jahre altes Fernglas bereit. Das bringt die Almwiesen, Berge und Landschaften noch näher. Sagenhaft!
Milde Sommernächte und Musik aus dem Kofferradio
Es folgt eine weitere milde Sommernacht auf der Pfnüralm und eine zünftiges Bergalm-Frühstück mit echter Kuhmilch. Die Wolfsburger werden gepackt. Abschied. Von Berchtesgaden führt der Weg entlang der Deutschen Alpenstraße nach Westen. Vorbei an der berühmten Kirche von Ramsau, die schon Millionen Ansichtskarten zierte. Hintersee, Ruhpolding und Reit im Winkl heißen die Etappenorte. Sonniges Alpenland! In Österreich locken weniger stark befahrene Straßen. Nördlich des Kaisergebirges fahren die Käfer Richtung Inntal, dann Tegernsee, Sylvensteinsee nach Vorderriss. Dort schlängelt sich eine nur wenige Meter schmale Mautstraße nach Wallgau, immer entlang der noch jungen, wilden und eiskalten Isar. Schuhe aus, Hosen hochgekrempelt und rein in das noch schmale Flüsschen.
Mit alten Käfern zu fahren ist ein besonderes Erlebnis. Die Bremsen bremsen, die Lenkung lenkt, das Auto läuft – aber eben alles so, wie es vor 60 und mehr Jahren Standard war. Heizung, Scheibenwischer, Motorleistung entsprechen der Bauzeit. Servounterstützung Fehlanzeige. Aber gerade dieses „archaische 1950er-Jahre-Erlebnis“ ist es, was das Käferfahren ausmacht: genießen, erleben mit allen Sinnen, die Fahrt regelrecht in sich aufsaugen, um noch jahrelang davon zehren können.
Übernachtet wird im Alpen-Caravanpark Tennsee, zwischen Mittenwald und Garmisch, mit Blick auf das majestätische Karwendelgebirge. Eine wahre Freude vor dieser grandiosen Kulisse die Zelte aufzubauen, den Grill anzuheizen und fein gewürztes Fleisch mit griechischem Salat und ein, zwei Gläschen kühlen Weißwein zu genießen. Aus dem alten Kofferradio tönt leise Musik.
Start zum vorletzten Tag. Der alte Geigenbauerort Mittenwald bietet unterhalb des Karwendelkamms beschauliche Winkel und wunderschöne bayrische Häuser. Weiter nach Garmisch-Partenkirchen. Der Besichtigung der alten Olympia-Sprungschanze folgt eine Stadtrundfahrt.
Die Volkswagen rollen gemächlich über Oberammergau und Schloss Linderhof hinein ins Österreichische. Am kalten, aber wunderschön gelegenen Plansee rasten Klaus und Roland, saugen, am Ufer des blauen Sees sitzend, ein letztes Mal die Alpenkulisse in sich auf.
Über Reutte in Tirol führt der Weg nach Kempten. Nahe Bad Waldsee finden die Kraftfahrer einen kleinen Landgasthof mit einheimisch-guter Küche und preiswerten Zimmern. Denn am nächsten Tag steht der letzte Höhepunkt der Rundreise an:
Wohnwagen, Wohnwagen, Wohnwagen!
Das Erwin-Hymer-Museum in Bad Waldsee ist das Ziel der Käfer-Expedition. Roland liebt alte Wohnwagen, hat an seinem Volkswagen eine Anhängerkupplung, die ab und zu „Columbus“, einen alten, aber voll funktionsfähigen Eriba-Puck-Wohnwagen von Hymer, von Baden-Baden aus ins benachbarte Elsass ziehen darf. Das Museum ist salopp gesagt ein Knaller. Es lädt zu einer einzigartigen Entdeckungstour durch Geschichte, Gegenwart und Zukunft des mobilen Reisens ein.
Die über 6.000 Quadratmeter großen Dauerausstellung präsentiert mehr als 80 historische Wohnwagen und Reisemobile. Und das beginnt bei den frühen Anfängen: erste, in Eigenregie gebaute Konstruktionen, Klappanhänger wie „Haus dabei“ und Faltwohnwagen, außergewöhnliche Ideen und vieles, vieles mehr. Drei Stunden sind Klaus und Roland im Museum. Drei Stunden voller Abwechslung: staunen und schmunzeln und ständig Neues entdecken. Natürlich steht da auch eine Rheumaklappe mit Wohnwagen am Heck. Und T-1 Bullis, die schon vor vielen Jahrzehnten die halbe Welt gesehen haben, wie der von Jürgen Schultz, der in seiner Hippiezeit bis Indien fuhr. Die Patina des Wagens und sein Reisezubehör erzählen Geschichten pur. Schade, dass Jürgen Schultz nicht gerade in der Nähe war!
Nachmittags fahren die treuen Käfer zwischen Sigmaringen und Kloster Beuron entlang der jungen Donau über die Schwarzwaldhöhen hinunter ins Rheintal und nach Hause, nach Bühl und Baden-Baden.
Herzlich grüßt der Pannenteufel
Doch ganz ohne Pannen ging die Tour nicht ab. Der sonst sich bei Volkswagen sehr rar machende Pannenteufel schuf eine Situation, die den beiden Automobilisten niemand glauben wird – doch es war tatsächlich so: Bei beiden Käfern versagte ein Bauteil seine Funktion. Und das innerhalb zweier Tage. Zuerst konnte Roland seine Kofferraumhaube nicht mehr schließen, die Mechanik machte einen Strich durch die Rechnung. Eine simple Schnur löste das Problem.
Von Klaus kam der Hilferuf zwei Tage später. An einer Tankstelle ging, was wohl, die vordere Haube nicht auf! Ein schwerwiegenderes Problem, denn wer nicht tanken kann … dem geht irgendwann der Sprit zur Neige. Notgedrungen sägt eine VW-Werkstatt den vorderen Haubengriff auf, dreht die Enden, bis die Schrauben lose sind. Offen ist die Haube. Ganz ehrlich, das tut richtig weh. Draht fixiert die Haube bis nach Hause. Grund für diese Panne: Ein Fremdkörper hatte sich in der Schließmechanik verfangen und blockierte sie. Es gibt wahrlich schlimmere Pannen. Dass es aber bei beiden Wolfsburgern die vordere Haube war – unglaublich, oder?
Roland Seiter